Ratih Kumala im Gespräch
Unsere Autorin Ratih Kumala hat ein paar Fragen rund um ihren Roman »Das Zigarettenmädchen« beantwortet.
Die Idee:
Mein verstorbener Großvater war ein Zigarettenfabrikant. Er entwickelte eine regionale Marke in der kleinen Stadt Muntilan in Zentraljava. Zu der Zeit war seine Marke ziemlich erfolgreich. Ich selbst habe meinen Großvater nie kennengelernt, er starb, bevor ich geboren wurde. Aber seine Geschichte lebt weiter. Meine Mutter, meine Tanten und Onkel erzählen oft davon, wie es in ihrer Kindheit war. Wie sie zwischen dem Tabak, der im Haus aufbewahrt wurde, aufwuchsen. Und immer wieder beschreiben sie die Arbeiter, die jeden Tag vorbeikamen, um Zigaretten zu drehen. Jedes Mal, wenn ich im Haus meines verstorbenen Großvaters war, kam es mir so vor, als könnte ich den frischen Tabak aus der Vergangenheit riechen. All diese Geschichten, die man mir erzählte, blieben mir im Gedächtnis. Ich verband sie dann mit der Liebesgeschichte, die ich schreiben wollte.
Rauchen:
Ich finde die Geschichten meiner Familie über Zigaretten romantisch. Sie klingen für mich immer sehr sinnlich. Aber ich verrate Ihnen ein Geheimnis: Ich rauche nicht. Wenn man fiktionale Texte schreibt, bringt man Menschen dazu, etwas zu glauben. Wenn jetzt ehemalige Raucher beim Lesen meines Romans in Versuchung geraten, freut sich vermutlich die Schriftstellerin in mir, weil ich es geschafft habe, etwas so glaubwürdig zu beschreiben. Wenn ich über etwas schreibe, möchte ich alle Positionen berücksichtigen, und in diesem Roman stehe ich weder auf Seite der Raucher noch auf der der Nichtraucher. Ich erzähle da nur die Geschichte einer lange verlorenen Liebe, und die Zigaretten sind der Hintergrund.
Das Zigarettenmädchen:
Es gibt in Indonesien die Legende von Roro Mendut. Diese Frau war sehr bekannt und beliebt, weil sie Zigaretten verkaufte, aber keine neuen, sondern welche, die sie schon angeraucht hatte. Männer kauften diese Zigaretten, weil Roro Mendut wunderschön war, und die Männer dachten, ihr Speichel an der Zigarettenspitze schmecke süß. Sie war wegen ihres süßen Speichels berühmt! Das ist das echte Zigarettenmädchen.
Politik:
Als ich zur Schule ging, lief jedes Jahr im nationalen Fernsehen am 30. September ein Film über „Pemberontakan G/30S/PKI“ [Anm.: siehe hierzu Informationen über die Kommunistische Partei Indonesiens PKI, über die Massaker 1965/66]. Alle Schüler mussten ihn sich ansehen und Notizen dazu machen. Jedes Mal, nachdem ich den Film gesehen hatte, konnte ich nicht schlafen. Ich finde, dass viele der Gewaltdarstellungen sich nicht dazu eigneten, im Fernsehen gezeigt zu werden, schon gar nicht Kindern. Sie hätten zensiert werden müssen. Nach 1998 wurde der Film nicht mehr im Fernsehen gezeigt. Man findet ihn übrigens nirgendwo mehr, nicht mal auf YouTube. Heute geht man davon aus, dass dieser Film zur Gehirnwäsche benutzt wurde, um die Indonesier dazu zu bringen, die PKI zu hassen. Aber wenn man sich die Geschichtsbücher in der Schule ansieht, hat sich nicht viel an dem geändert, was über den Kommunismus und die PKI gelehrt wird. Wenn man jüngere indonesische Schüler fragt, was sie über Kommunismus wissen, ist das nicht viel – das sind diejenigen, die nicht religiös sind. Aber ältere Schüler mit Zugang zu Internet und Literatur sind da offener. Sie lernen, dass die Geschichte immer mehrere Seiten hat. Im täglichen Leben ist es trotz allem, was man uns über den Kommunismus beigebracht hat, kein Thema, es sei denn, man arbeitet im politischen Bereich oder ist politischer Aktivist. Ich arbeite im kreativen Bereich, und ich habe meine kreative Freiheit.
Land:
Ich kann Indonesien als Schauplatz nicht von meinen Charakteren trennen. Die Indonesier halten ganz selbstverständlich Zigaretten in der Hand, und trotzdem wissen sie nicht wirklich genug über ihr kulturelles Erbe, trotz der Pros und Contras. Die Zigarettenindustrie gibt es hier seit langer Zeit, sie hat ihre Geschichte wie auch mein Land, es gibt Höhen und Tiefen, und was mit meinen Charakteren passiert, wird von den realen Ereignissen in Indonesien beeinflusst. [Anm.: Kritischer Beitrag des NDR über die indonesische Zigarettenindustrie.]
Frauen:
Die Rolle der Frau ist in großen Städten sehr anders als in kleineren Orten. Indonesische Frauen in Großstädten wissen, dass sie unabhängig sein müssen, auch wenn der Ehemann das Familienoberhaupt ist und arbeitet. Die Frauen wollen nicht einfach nur zu Hause herumsitzen und warten. Viele bieten online selbst hergestellte Produkte an und verkaufen sie, um ihre Familie finanziell zu unterstützen und sich gleichzeitig zu Hause um die Kinder kümmern zu können. Es ist auch sehr verbreitet, dass Frauen Vollzeit arbeiten. Ich zum Beispiel arbeite auch Vollzeit. Es ist nicht leicht, Arbeit und Familie unter einen Hut zu bekommen. Wenn eine Ehefrau arbeitet, muss sie dazu die Erlaubnis von ihrem Ehemann bekommen.
In den kleineren Städten in Indonesien entscheiden sich viele Frauen dafür, Hausfrau zu sein. Sie denken da ganz anders als die Frauen in den Großstädten. Sobald sie mit der Schule und der Ausbildung fertig sind, wollen sie heiraten und Kinder bekommen, um nicht mehr von ihren Eltern abhängig zu sein. Aber stattdessen sind sie von ihren Ehemännern abhängig. Ich meine das nicht als Vorwurf, ich verstehe das sogar. Unsere Eltern haben uns beigebracht, dass Frauen, auch wenn sei arbeiten, in die Küche gehören, von Natur aus. Das haben sie wirklich immer wieder gesagt, als wir noch Kinder waren.
Stil:
Meine Geschichten kommen eher vom Plot als von den Charakteren. Ich mag Geschichten, die einen klaren Plot haben. Und ich schreibe wohl genau das, was ich mag. So einfach ist das.
Drehbuchschreiben:
Ich habe als Romanautorin angefangen. Dann kam das Drehbuchschreiben für Fernsehen und Kino hinzu. Beides ist zwar Schreiben, aber anfangs fiel es mir nicht leicht: Während des Drehbuchschreibens konnte ich keine Literatur lesen oder schreiben, und ich hatte danach ein Jahr lang eine Schreibblockade. Ich musste mich als Prosaautorin neu finden, um weiter Drehbücher schreiben zu können. Jetzt weiß ich, dass jedes Schreiben einen eigenen Stil hat, und seit ich es trennen kann, bin ich auf beiden Gebieten eine bessere Autorin.
Zukunft:
Gerade entwickle ich zwei unterschiedliche Romane. Wenn mir mit einem langweilig wird, arbeite ich an dem anderen weiter. Worum es geht? Jedenfalls nicht um Zigaretten.
Foto: Aelke Mariska, unterstützt durch das Pullman Hotel Central Park, Jakarta
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